kleiner Kirchenführer

Lieber Kirchenbesucher! Seien Sie herzlich willkommen in unserer Rüsseinaer Kirche. Von weitem her ist sie ein unübersehbares Wahrzeichen dieser Gegend. Ohne es zu ahnen, haben Sie - vom Friedhof her kommend - bereits das Kirchenschiff der Vorgängerkirche durchschritten, sind über den ehemaligen Altarplatz unter den Turm hindurch nun in die „neue“ Kirche eingetreten. Über Jahrhunderte diente eine Chorturmkirche mit wuchtigem romanischen Turm und westlich vorgelagertem kleinen Schiff als geistliches Zentrum für die über 25 umliegenden Ortschaften (sog. Urpfarrei).

Bereits 1090 war unter Kaiser Heinrich III. „Rocina“ als Pfründe des Domes zu Meißen erwähnt worden. Bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb die Aufsicht des Domka-pitels über die Kirchfahrt Rüsseina erhalten (zur Erinnerung der Hirtenstab in der Wetterfahne des Turmes). Ständige Klagen über die Enge der Kirche führten zu dem Entschluss eines Kirchenneubaus. Während das alte Schiff vorerst für Gottesdienstzwecke stehen blieb, wurde 1782 - 1786 östlich des Turmes ein gewaltiges zweites Kirchenschiff in der Art eines Saalbaues angefügt. Man stelle sich dieses Kuriosum vor: ein Turm inmitten zweier Kirchenschiffe! Die zwei großen Stützmauern west-lich des Turmes zeugen noch heute von dem mittelalterlichen westlich vorgelagerten Kirchenbau. Interessant dabei auch: Die ehemalige Ostaußenseite des Turmes ist seit 1786 im Dachboden schützend eingeschlossen und zeigt uns noch heute die kleinen Außenfenster und die mindestens 300 Jahre alte Putzgestaltung mit Resten einer Eck-Quaderung.

Bei der Außenrenovierung 1995/96 bzw. 2004 wurde dies gestalterisch umgesetzt. Die schöne Renaissance-Giebelgestaltung ist ein Zeugnis von Umbauarbeiten im 16. Jahrhundert. Ob der Dachreiter mit Laterne erst mit dem Neubau 1782-86 aus optischen Gründen aufgesetzt wurde oder bereits früher, ist unklar. Die Außenproportionen bleiben ungewohnt: Der First des Kirchenschiffes ist lediglich ca. 1 m niedriger als der des Turmes. Der frühere Baupfleger Möller pflegte deshalb von der „Glucke zu Rüsseina“ zu sprechen.

Das Geläut

Im Turm befindet sich in Jalousiehöhe ein vierfaches Geläut. Während die kleine Glocke (1887) im Turm verblieb, wurden die drei übrigen Glocken (1880, 1887, 1826) im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen und 1955 durch drei Klangstahlglocken ergänzt. Heute rufen die Glocken drei Mal täglich zum Gebet.

Der Kircheninnenraum

Der imposante Kirchenraum bietet heute über 1.200 Leuten Platz. Vor dem Ausbau der Ostempore (hinter dem Altar verlaufend) waren es 1.400 Plätze. Damit ist die Rüsseinaer Kirche eine der größten in Sachsen. Zur 100-Jahrfeier 1885/86 hatte man die Kirche leicht umgestaltet und durch Dekorationsmaler Bohl aus Kötzschenbroda mit einer einfachen Holzimitationsmalerei („Bierlasur“) ausmalen lassen, was dem großen Kircheninnenraum eine recht warme Atmosphäre verleiht.

Die vielen Namensschilder in den Bänken erzählen von alt eingesessenen Familien, die ihren Kirchenplatz bereits vor Baubeginn „kauften“ und damit den Kirchenbau mitfinan-zierten (zwischen 1-3 Taler pro Familiensitz; 1 Taler Kaufkraft entspr. heute ca. 300 Euro). Die Einwohner des Nachbardorfes Stahna, das früher zu Leuben eingepfarrt war, spendeten für den Kirchenbau nur unter der Be-dingung, dass sie einen Platz in der Rüsseinaer Kirche bekommen. Wie sind die Zeiten doch anders geworden! Wie viele von den Nachkommen derer, die damals für ihren Familiensitz einen hohen Einsatz einbrachten, wissen heute noch, dass sie ihren Platz in der Kirche haben?

Nach protestantischem Kirchenverständnis ist der Kirchenraum in einer Achse konzipiert, die über den Taufstein (farblich gestaltetes Gusseisen, 1871, gleiches Modell im Dom zu Bautzen) auf den Kanzelaltar zuläuft.

Der Kanzelaltar

Vor Ihnen erhebt sich ein typischer Kanzelaltar, wie er sich in vielen sächsischen Kirchen befindet. Der Hainichener Künstler Gottlob Stecher bediente sich schlichter barocker Formen und setzt in klassischer Weise protestantisches Glaubensgut um: Der Kanzelaltar wird von oben nach unten „gelesen“.

Die sonnenähnliche Gloriole mit dem Symbol des dreieinigen Gottes steht für die Herrlichkeit Gottes. Gott ist aber nicht im Himmel “gefangen“, sondern leuchtet in diese Welt hinein. Der Himmel ist offen. Die beiden Gewölbehälften (Himmelsgewölbe) geben in der Mitte Raum. Die Herrlichkeit Gottes wird durch sein Wort unter die Menschen gebracht. Dafür steht die Kanzel, die mit den Symbolen Kreuz, Anker und Herz nach Apostel Paulus Schwerpunkte göttlicher Gaben setzt: „Nun aber bleiben Glaube (Kreuz), Hoffnung (Anker), Liebe (Herz), diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Kor. 13,13). Zusätzlich weist das Christusmonogramm mit dem ersten und letzten Buchstaben des griechischen Alphabets auf die Unendlichkeit und Allgegenwart Jesu Christi hin. Unter dem Wort Gottes versammelt sich die Gemeinde um den Altar zum Abendmahl. Wort Gottes und christliche Gemeinschaft gehören zusammen.

Die Buntglasfenster

Im Zuge der Renovierung 1885/86 hatte man sich entschlossen, die Ostfenster durch Buntglasfenster zu ersetzen, die durch die berühmte Buntglasfirma Tuercke aus Zittau gefertigt wurden. Die unteren Fenster zeigen im Symbol die vier Evangelisten Matthäus (Engel), Markus (Löwe), Lukas (Stier) und Johannes (Adler). Leider war die Dresdner Firma Schreiner jeglicher christlicher Symbolik dermaßen unkundig, dass sie bei der Reno-vierung der Fenster 1982-85 - neben einer Unzahl von weiteren Fehlern - die Reihenfolge der Evangelisten vertauschten und anstelle des Engels gleich noch einen zweiten Stier fabrizierten. So geschieht es, wenn dem Kunsthandwerk die Grundkenntnisse christlicher Kultur abhanden kommen. Aber auch das ist ein Zeugnis unserer Geschichte.

Der Leuchter

Rüsseina war geprägt durch mehrere Metallfachbetriebe. Dies spiegelt sich in der Ausführung des Zentralleuchters wider, den Schmiedemeister Gerhard Pilz im Jahre 1985 nach dem Entwurf des Berliner Architekten Klaus Partheil geschaffen hat.

Die Orgel

Dass Rüsseina heute eine wunderbare und solide Orgel hat, ist das Ergebnis einer schlechten „Spar-Erfahrung“. 1785 hatte man sich entschlossen, anstelle der für 1.060 Taler angebotenen Kaiser-Orgel (Dresden) eine Sparvariante der Lommatzscher Firma Richter für 900 Taler einzubauen. Diese aber war mit so vielen Mängeln behaftet, dass die Rüsseinaer sich bereits 1871 für die Anschaffung einer Qualitätsorgel des sächsischen Hoforgelbaumeisters Eduard Jehmlich entschlossen (3.800 Taler). Die Orgel konnte 2005 zusammen mit der Reaktivierung der alten Balghebeanlage gründlich generalüberholt werden und besticht durch Klangfülle und Farbenreichtum. Mit zwei Manualen hat sie 27 klingende Register und über 2000 Pfeifen. Die Orgel befindet sich der Kanzel gegenüber. Das Wort Gottes soll nicht ohne Antwort bleiben. So steht die Orgel für die klangvolle Stärkung einer singenden Gemeinde.

Heizung

900 Jahre lang musste sich das Volk, wenn es im Winter in die Kirche ging, warm anziehen. Man saß allerdings im Hinblick auf den Kirchenbesuch enger als heute. Im Jahre 1900 wurde eine Niederdruck-Dampfheizung für knapp 8.000 Reichsmark eingebaut, die bis zum heutigen Tag den Kirchenraum sehr effektiv ausheizt (die Rohre verlaufen unterhalb der Bankreihen). Lediglich der Heizkessel wurde auf Öl umgestellt. Die vorderen fünf Bankreihen können zusätzlich mittels einer modernen energiesparenden Flächenheizung beheizt werden (Fa. Candor, Referenzobjekt).

Nutzung der Kirche

Sonntäglich finden 8.30 Uhr bzw. 10.00 Uhr Gottesdienste statt. Gern werden in dieser Kirche Konzerte auf-geführt, da die Akustik konzertsaalähnliche Züge hat. Die Konzerte finden statt: Mitte Januar, Himmelfahrt, Mitte September; zusätzlich regelmäßig Orgelvespern in der Sommerhälfte. Zur Kirchgemeinde Rüsseina gehören heute 19 Dörfer. Sie ist Schwestergemeinde der Kirchgemeinden Raußlitz und Wendischbora.

Kontakt

Pfarrer Dr. Joachim Hahn

Rüsseina, Kirchbergstraße 8
01683 Nossen

035242/ 68651

joachim.hahn@evlks.de